Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit: Neue Dynamik in den deutsch-französischen Beziehungen
Am 22.1.2019, schlagen Deutschland und Frankreich in Aachen mit dem „Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration“ ein neues Kapitel langjähriger bilateraler Kooperation auf. In Zeiten, in denen Multilateralismus und die liberale Weltordnung zunehmend infrage gestellt werden, passen beide Länder ihre bilaterale Kooperation auf Basis des Elysée-Vertrags den veränderten Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts an. Nach der Sorbonne-Rede Emmanuel Macrons im September 2017 und einer Resolution von Bundestag und Assemblée Nationale im Jahr 2018 hat „Elysée 2.0“ heute Gestalt angenommen. Ein deutsch-französisches Parlamentsabkommen soll in den nächsten Wochen ebenfalls folgen.
Freiheit.org sprach dazu mit dem liberalen Abgeordneten Michael Link sowie mit Sabine Thillaye, deutsch-französische Abgeordneten der Assemblée Nationale, die beide ein Jahr lang die Vorbereitungen des deutsch-französischen Parlamentsabkommens begleitet haben.
Welche Auswirkungen wird der neue Aachener Vertrag haben, insbesondere für die deutsch-französische Kooperation im Alltag?
Mit dem Aachener Vertrag muss es uns gelingen, eine neue Dynamik in den deutsch-französischen Beziehungen anzustoßen und den Mut des Elysee-Vertrags von 1963 wiederzufinden. Eine der großen Neuerungen des Vertrags ist die Einbindung der Gesellschaft und ihrer gewählten Vertreter, von Unternehmen, Vereinen und Bürgerinnen und Bürgern beider Länder. Hier lädt der Vertrag zu konkreten Initiativen ein, insbesondere in den Grenzregionen. Bürgern auf beiden Seiten der Grenze soll das Leben mit der Angleichung des deutschen und des französischen Rechts leichter gemacht werden. Darüber hinaus soll das Erlernen der jeweiligen Sprache des Partnerlandes wieder verstärkt gefördert werden – ein fundamentaler Ausgangspunkt für jegliche grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die in Frankreich in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurde.
Aus ihrer Perspektive als Abgeordnete mit französischer und deutscher Staatsbürgerschaft, welche Themen waren in Ihren Augen besonders wichtig für die Parlamentarier beider Länder?
In den Gesprächen, die ich in den vergangenen Wochen in den zwei Gremien geführt habe, sind drei Punkte immer wieder aufgekommen: die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Annäherung in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik und schließlich die Harmonisierung von Normen und gesetzlichen Vorgaben. Jeder dieser drei Punkte findet sich nun im Aachener Vertrag wieder. In der Verteidigungspolitik soll über die bereits bestehende Kooperation in der NATO und in europäischen Formaten (beispielsweise der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit, SSZ) hinaus auf bilateraler Ebene noch enger zusammengearbeitet werden. Die Abstimmung wird in einem Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat geschehen. Eine gemeinsame Rüstungspolitik soll überflüssige Ausgaben einsparen, Gespräche über gemeinsame Exportrichtlinien sind vorgesehen. Deutsch-französische Initiativen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zielen auf die konkrete Verbesserung der Lebensbedingungen der Bürger beider Länder und auch spezifische Themen wie die Geschlechtergerechtigkeit sollen zukünftig verstärkt gemeinsam angegangen werden. Schließlich sieht der Aachener Vertrag die zunehmende Integration beider Volkswirtschaften vor, angefangen in den Grenzregionen, wo der tagtägliche Austausch schon heute selbstverständlich ist.
Der neue Vertrag ist Ausdruck einer Überzeugung, die von beiden Regierungen geteilt und von den Parlamenten unterstützt wird. Die geplante deutsch-französische parlamentarische Versammlung, zusammengesetzt aus 50 deutschen und 50 französischen Abgeordneten, wird dabei insbesondere dafür verantwortlich sein, die Umsetzung des Abkommens zu überwachen. Die Abgeordneten beider Länder werden sich daran messen müssen, ob die Artikel des Vertrags in der Praxis auch umgesetzt werden und im Alltag der Bürger ankommen.
Was erwarten Sie vom Abschluss des neuen deutsch-französischen Parlamentsabkommens?
Ich verwende diese Begriffe sehr sparsam, aber das gemeinsame Parlamentsabkommen ist ein historischer Schritt in der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Nach meiner Kenntnis ist es das erste seiner Art. Der Elysée-Vertrag von 1963 steht bis heute beispielhaft für die erfolgreiche Überwindung vergangener Feindseligkeiten. Für die Zukunft hoffe ich, dass nun auch die Erweiterung durch den Aachener Vertrag ein Beispiel für die Vorteile der immer engeren Zusammenarbeit zwischen Nachbarstaaten wird. Als Abgeordnete der Nationalversammlung möchte ich hinzufügen, dass ich mir viel von dem regelmäßigen Austausch mit den deutschen Kollegen verspreche.
Welche Themen oder Aspekte lagen Ihnen bei der Verhandlung des Abkommens besonders am Herzen?
Die Antwort mag mit Blick auf meine deutsch-französischen Wurzeln überraschen. Nach einem Jahr intensiver Diskussionen mit französischen und deutschen Kollegen ist für mich aber der vielleicht wichtigste Aspekt des Abkommens seine Leuchtturmfunktion für die restlichen Mitgliedstaaten Europas. Die vergangenen Monate haben mich aufs Neue vom großen Mehrwert grenzüberschreitender Zusammenarbeit überzeugt. Mit Blick auf den nahenden Brexit ist aber auch klar, dass der europäische Einigungsprozess mitnichten einer Gesetzmäßigkeit folgt oder selbstverständlich ist. Bi- und multinationale Zusammenarbeit stehen heute von vielen Seiten unter Beschuss: von Freihandelsabkommen bis hin zu grenzüberschreitenden Projekten auf regionaler Ebene. Deshalb ist es heute umso wichtiger für uns Parlamentarier über unsere positiven Erfahrungen in der deutsch-französischen Zusammenarbeit zu berichten und für sie einzustehen.
Was bedeutet die deutsch-französische Freundschaft für Sie persönlich?
Als französische Abgeordnete mit deutschen Wurzeln steht meine persönliche Biografie beispielhaft für die Nähe Frankreichs und Deutschlands. Mit Blick auf die zahlreichen Erinnerungen an die Unterzeichnung des Elysée-Vertrag von 1963 in den letzten Tagen bin ich mir aber immer bewusst, wie sehr mein Mandat in der Nationalversammlung auf der Arbeit vorangehender Generationen fußt. Deswegen hoffe ich natürlich umso mehr, dass der Aachener Vertrag und das Parlamentsabkommen einen ähnlichen Beitrag zu den deutsch-französischen Beziehungen werden leisten können und ein Werdegang wie der meine in Zukunft immer selbstverständlicher wird.
Nach dem Jura-Studium machte sich Thillaye mit einer Kommunikationsagentur selbstständig, die sie von 1987 bis 2017 leitete. Daneben war sie von 2006 bis 2007 Vorsitzende der Abteilung für Pressearbeit des Unternehmerverbandes MEDEF der Provinz Touraine. Von 2016 bis 2017 war Thillaye darüber hinaus Mitglied des Verwaltungsrats des MEDEF (französischer Unternehmerverband).
Im Juni 2016 entschied sich Thillaye, für die Liste der En Marche!-Bewegung Emmanuel Macrons bei den Parlamentswahlen 2017 zu kandidieren.
Thillaye ist Mitglied des Verteidigungsausschusses, einem der acht permanenten Ausschüsse der Nationalversammlung. Hier kümmert sie sich vor allem um Fragen der europäischen Verteidigung und die deutsch-französische Zusammenarbeit auf diesem Gebiet.
Foto unten im Zusammenhang:
Allez les Bleus! Demo für Europa vor französichem Konsulat in Frankfurt. „Rotschals“ fordern Ende der Krawalle und haben eine Gegenbewegung zu den „Gelbwesten“ in Frankreich gebildet.
Foto: Marc de la Fouchardière und Freunde.